Flutopfer im Ahrtal: Oliver Grieß kämpfte im Strudel 15 Stunden ums Überleben

Hier KLICKEN für mehr Informationen!

#Ahrtal #Flut #Katastrophe

Es ist ein Wunder, dass Oliver Grieß die Flutkatastrophe im Ahrtal überlebte. Der 54-Jährige wurde auf eine kleine Insel inmitten des mörderischen Strudels gespült und harrte dort die ganze Nacht schwerverletzt aus. Auf FOCUS Online sprechen er und seine Freundin erstmals über das unfassbare Drama. Auch die 50-Jährige entkam dem Tod nur knapp – auf dem abgefetzten Dachstuhl ihres Hauses.

Mit weit aufgerissenen Augen steht Oliver Grieß in den kreischenden Fluten der Ahr und beschließt zu sterben.
Das Einfachste wäre, einen Schritt zur Seite zu gehen und im Strudel zu verschwinden. Er könnte sich auch vor einen der riesigen Gastanks hechten, die qualmend an ihm vorbei zischen. Oder sich aufspießen lassen von einer der Schollen, die wie Styroporplatten im Wasser treiben, aber in Wahrheit scharfkantige Betonbrocken sind. Hauptsache, es ist vorbei. Endlich.

Oliver Grieß, 54, hat in den letzten zehn Minuten alles im Leben verloren. Seine Freundin, die Hunde, das Zuhause. Alles weg. Mitgerissen von der Flut. Er selbst wird von einstürzenden Trümmern fast erschlagen. Die Druckwelle schießt ihn nach draußen in die tobende Ahr und spült ihn auf einen Erdhügel inmitten des Todesflusses.
Als er wieder zu Sinnen kommt und sich aufrappelt, beginnt er zu weinen. Er ahnt, dass niemand ihn retten wird. Weil keiner mehr zu sehen ist weit und breit. Und weil seine Hilfeschreie im ohrenbetäubenden Lärm der Flut ohnehin nicht zu hören sind.
Er ist verloren. Für immer. Sein letztes Hemd ist ein Bademantel, der nass und schwer auf seiner Haut klebt. Er hat keine Schuhe an und keine Unterhose. Er hat keine Vergangenheit mehr und auch keine Zukunft. Er ist allein. Allein unter einem Lindenbaum, dessen mächtige Wurzel den Hügel zusammenhält, auf dem er jetzt steht.

Es ist die letzte Insel im wütenden Strom, kaum vier Quadratmeter groß. Eine Insel, auf der Oliver Grieß sich nichts sehnlicher wünscht als den Tod. Eine innere Stimme hält ihn zurück. „Der Überlebenswille war größer“, sagt er heute.
Die ganze Nacht harrt er neben der Linde aus, 15 Stunden. Irgendwann entdeckt ihn jemand und ruft Hilfe herbei. Ein Helikopter zieht ihn an Land. Oliver Grieß nimmt seine Freundin in die Arme, die ebenfalls vom Wildwasser mitgerissen wurde. Er hatte gedacht, sie sei tot. Und sie hatte gedacht, er sei tot. Auf wundersame Weise überleben beide.

Vier Monate nach der Apokalypse vom 14. auf den 15. Juli 2021 sprechen Oliver Grieß und seine Freundin zum ersten Mal mit einem Journalisten über ihre Erlebnisse. Über das Unglück, das sie aus ihrem alten Leben warf. Und über das Glück, zurück zu sein in einem neuen Leben.
„Manchmal sitze ich einfach auf einer Bank, spüre den leichten Wind und die Stille und die Sonnenstrahlen im Gesicht. Dann bin ich glücklich“, sagt die 50 Jahre alte Freundin, die angenehm zurückhaltend ist und sich nicht mit ihrem Namen in die Öffentlichkeit begeben will. Anders als ihrem Freund fehlt ihr auch die Kraft, mit dem FOCUS-Online-Reporter an den Ort des Schreckens zurückzukehren, in die Ahrtal-Gemeinde Insul im nördlichen Rheinland-Pfalz. „Das schaffe ich nicht.“

Oliver Grieß will es zumindest versuchen. Als er ankommt an der Stelle, wo einst das Zuhause der Familie stand, rollt dort dröhnend eine zehn Tonnen schwere Planierraupe hin und her. Grieß nutzt eine Pause des Fahrers und läuft über den plattgewalzten Schlamm. Er versucht, den alten Standpunkt des Hauses, Baujahr 1973, mit seinen Schritten abzugehen, aber es will ihm nicht gelingen. „Es sieht alles so anders aus.“
Wo stand der Carport? Die Garage? Die Terrasse? Wo der Zaun des 1100 Quadratmeter großen Gartens mit direktem Zugang zur Ahr? Der Grillkamin? Oliver Grieß hebt die Schultern. „Ich kann es nicht mehr sagen.“ Sein Blick ist leer und traurig. Er schweigt lange. Man spürt, wie sehr ihn das alles mitnimmt, auch wenn er immer wieder betont, es sei „alles gut“.

Etwa 20 Meter weiter ragt die alte Linde auf, die ihm in der Katastrophennacht Schutz bot. Auf dem Weg dorthin stößt Grieß auf etwas Treibgut, das die Bagger noch nicht weggeschafft haben. „Da ist ein Stück von unserer Fassade“, ruft er aufgeregt und zeigt auf einen terrakottafarbenen Betonbrocken. Auch eine Terrassenplatte und ein Stück vom Zaun findet er im Flutmüll. Grieß kraxelt die Anhöhe zu dem Baum hinauf. Er stützt sich mit der Hand am rissigen Stamm ab und schaut auf die Ahr. Ruhig und gemächlich schlängelt sie sich durch das Tal.
An heißen Sommertagen stellte Oliver Grieß gern seinen Campingstuhl ins Flussbett und genoss es, wenn das Wasser seine Fußknöchel umspielte. Nachts schlief er mit seiner Freundin sogar draußen im Garten. Während die beiden in den Himmel schauten und Sterne beobachteten, plätscherte es neben ihnen. „Es war ein schönes, friedliches Rauschen“, erinnert sich Oliver Grieß. „Nicht ansatzweise so wie am Tag als das Hochwasser kam.“

>